Im April 1997 kam ich aufgrund eines beruflich bedingten Ortswechsels nach Schwaz in Tirol und schloß mich gleich dem Schwazer Segelfliegerclub SSFC an, um meinem Lieblingssport nun auch in den Alpen nachgehen zu können.
Da ich bereits in meinem früheren Verein die Ausbildung zum Segelflugzeugführer absolviert und einige Praxis erworben hatte, unternahm ich zunächst von Innsbruck einige Überprüfungs- und Einweisungsflüge, um mich in der neuen Umgebung zurechtzufinden.
Am nächsten Wochenende dann durfte ich zum ersten Mal mit der Ka 8 des Vereins starten. Das Flugzeug unterzog ich zuvor noch der vorgeschriebenen Vorflugkontrolle.Einige Flugzeuge, die bereits gestartet waren, beobachtete ich, wie sie in der Wand in Achterschleifen fliegend Meter für Meter Höhe gewannen. Ich nahm mir vor, mit sicherem Abstand vom Hang dann später die gleichen Bahnen zu ziehen. Dann wurde es Zeit, die Ka 8 auf den Startpunkt zu ziehen und den Gurt anzulegen. Ich nahm im Flieger Platz und schnallte mich an. Eine letzte vorgeschriebene Kontrolle von Instrumenten und Steuerung schloss die Startvorbereitungen ab. Über Funk meldete ich mich bei der Startwinde an, die Antwort, dass es gleich losgehe folgte auf dem Fuße. Bei der zügigen Beschleunigung am Windenseil war volle Konzentration aufzubringen. Der Vogel hob ab und gehorchte brav meinen Steuerbewegungen. Nach Erreichen der Sicherheitshöhe wurde die Flugbahn steiler, die Höhe nahm gleichmäßig mit über 15 m/s zu. Vor Erreichen der Ausklinkhöhe wurde das Höhenruder nachgelassen, bei fast 500 m Höhe fiel das Windenseil ab. Nach dem obligaten mehrfachen Betätigen der Ausklinkvorrichtung trimmte ich die gewünschte Fluggeschwindigkeit ein. Alle Fluggeräusche waren normal, wieder einmal sollte sich der Traum vom freien Flug erfüllen. Sogleich neigte ich mich in eine Linkskurve, um den vielversprechenden Hang zu erreichen. Unerwartet allerdings begann bereits auf dem Weg dorthin die Variometernadel zu steigen. Mir war das recht, war ich doch aus der Vergangenheit im Flachland gewohnt, Thermikschläuche auszufliegen. Als der Sitzdruck bei 3 m/s nicht mehr zunehmen wollte, warf ich mich in einen stabilen, engen Kreis, der sogleich optimal das Zentrum des Aufwindes traf. In zwei, drei Kreisen bestätigte sich, dass bei minimalen Korrekturen stabiles, kräftiges Steigen mich hinauf zu den Berggipfeln tragen wollte. Endlich konnte ich die Gelegenheit nutzen, einen Blick auf die umgebende Landschaft zu werfen. Nach Süden hin wurde der Flughafen Innsbruck bereits deutlich kleiner und übersichtlicher. Nördlich von mir ragte steiler Fels auf, der in meiner Höhe noch von Nadelgehölz bewachsen war. Weiter korrigierte ich vorsichtig Schräglage und Geschwindigkeit, um den Aufwindkern sicher zu umschlingen. Mit fast jedem Kreis erweiterte sich mein Horizont deutlich. Schräg über mir peilte ich das erste Schneefeld an, das ich nach wenigen Runden auch erreichte. Und weiter stieg ich mit fast 200 m in einer Minute, mit jedem Kreis fast 100 m. Nun konnte ich mich bereits darauf freuen, bald den Gipfel zu erreichen, wenn nicht das Steigen nachließ. Nach einigen weiteren Korrekturbewegungen thronte ich bereits über dem Gipfelkreuz.
Der Blick wanderte weit über das Karwendel und durch das Inntal. Gegenüber konnte ich die Brennerautobahn lange verfolgen, bis sie im Dunst verschwand. Langsam erstarb die Thermik, die fallende Anzeigenadel des Variometers weckte den Tatendrang zu neuen Aufwinden.
Ähnlich habe ich noch viele Male den Aufzug über die Berggipfel erlebt, dieser erste Aufstieg aber wird mir unvergesslich bleiben.
Dr. Ulrich Wünsche
SSFC Schriftführer 1997 – 1999
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